Ein Grabmal für Zeus

12,20 

Zusätzliche Informationen

Bestellnr

20647

Autor

Kurt Kauter

Ausführung

199 S., kart.

ISBN

978-3-9804597-5-4

Erschienen

1997

Verlag

Angelika Lenz Verlag

Inhalt:

In diesem Buch geht der Autor doppelt vom Leben aus: vom ergründend durchdachten widersprüchlichen Leben vergangener Völker, ihren menschlichen Entwicklungen und weltanschaulichen Denkweisen, und ugleich von seinem eigenen Leben, seiner eigenen Gläubigkeit, von seinen Zweifeln, seinen vielen Fragen, von unsicheren, aber immer sicherer werdenden Antworten, die die eigene geistige Entwicklung kennzeichnen. Und alle diese Erkenntnisse münden in neue Fragen an sich und den Leser. Einem roten Faden gleich zieht sich durch das Buch der Gedanke, dass alle Götter Geschöpfe menschlichen Denkens sind, Spiegelbilder der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse.

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REZENSION:

Vom Leben ausgehend, die Nachdenklichkeit fördernd: Ein Grabmal für Zeus (Kurt Kauter)

Wie und warum wurden Götter geboren? Wer war Zeus und wie kam es zur Macht? Ging es im Trojanischen Krieg tatsächlich nur um die „schöne Helena“? Wie lange war Odysseus wirklich auf Irrfahrt? War die wirkliche Klytaimnestra das „abscheuliche Weib“, das den Tod „verdiente“? – Fragen über Fragen an die Geschichte, die wirkliche und die der literarischen Erzeugnisse alter Zeiten sowie an ihre Bewerter in der Gegenwart. Wer an die Religion sowie an die Götter- und Heldensagen der „alten Griechen“ vom Standpunkt einer bestimmten gegenwärtigen Glaubensrichtung herantritt, läuft Gefahr, auf dem schmalen Grat einer Wertungsskala zwischen „wahr“ bzw. „rein“ oder „unwahr“ bzw. „abergläubisch“ zu wandeln. Das mag Bewunderung oder Abscheu, vielleicht zuweilen auch mit Bewunderung gemischte Abscheu erwecken, ein Verstehen dürfte dadurch sehr erschwert werden. Das vorliegende Büchlein geht anders vor.

Der promovierte Geologe Kurt Kauter, der in vielen Ländern der Welt gearbeitet hat, kam zwangsläufig mit archäologischen Artefakten der frühen Menschheitsgeschichte und mit Menschen, die noch heute in anderen Kulturen und Kulturepochen leben, in Berührung. Er lebte bei Indianern in Südamerika, teilweise mit ihnen, und war bemüht, in ihre Lebens- und Denkweise einzudringen. Mit solcherart reicher Lebenserfahrung ausgerüstet und in gründlicher Kenntnis der griechischen Quellen wie der gegenwärtigen Literatur über sie geht Kauter an sein Werk.

Sein Stil ist locker, ohne salopp zu sein. Er schreibt mit leichter Ironie, ohne zu verreißen. Die Darstellung von Tatsachen und die Überlegungen zur Neubewertung von Zusammenhängen wirken nicht belehrend, sondern anregegend. Da er viele Fragen aufwirft, wird man zu einer Art stillen Disputs mit ihm veranlasst. Dazu trägt vor allem eine Besonderheit des Büchleins bei: Er flicht – sparsam und unaufdringlich – Erlebnisse aus eigener geistiger Entwicklung ein.

Und gerade das macht die Lektüre so spannend und glaubwürdig. Denn er geht bei der Schilderung der Vergangenheit sowohl von den uns geschichtlich überlieferten, vergangenen Lebensvorgängen u nd -verhältnissen aus, wenn er deren religiöse und sagenhafte Reflexe bewertend schildert, als auch von Etappen seines eigenen geistigen Ringens um die Ausprägung seiner Weltanschauung.

Er stammt ja aus katholisch bekennender Familie, aus einer Region, deren Bewohner sich mehrheitlich zum katholischen Glauben bekennen, hat katholisch geprägte Bildung genossen. Im eigenen Leben hat er sich schrittweise davon gelöst und ist zum Freigeist und Atheisten geworden. Fragen, die in seinem an Widersprüchen reichen Leben auftauchten und die er uns im Zeitbezug knapp schildert, bringen ihn uns umso näher, als er zu dieser seiner Biographie steht.

So finden wir eine Schrift vor, die doppelt vom Leben ausgeht: Vom ergründend durchdachten widersprüchlichen Leben vergangener Völker, ihren menschlichen Entwicklungsgängen sowie deren geistigen Reflexen in ihren weltanschaulichen Denkweisen, und zugleich von seinem eigenen Leben, seiner eigenen Gläubigkeit, von seinen Zweifeln, seinen vielen, sehr vielen Fragen, von unsicheren, aber immer sicherer werdenden Antworten, die die eigene geistige Entwicklung kennzeichnen. Und alle diese Erkenntnisse münden in neue Fragen an sich und den Leser.

Einem roten Faden gleich zieht sich durch die Schrift der Gedanke, dass alle Götter Geschöpfe menschlichen Denkens sind, Gedankenwesen, die freilich nicht eine abstrakte Psyche zum Ausdruck bringen, sondern weltanschauliche Reflexe einer Lebensweise unter verschiedenen natürlichen und menschheitsgeschichtlichen Bedingungen und Verhältnissen sind.

„Mit der Geburt von Göttern, entstanden aus den Gedanken der Menschen, sind wir alle behaftet“, erklärt er. Er bleibt aber nicht bei der Deklaration der konkreten geschichtlichen Entstehungsgründe religiöser Vorstellungen stehen. Vielmehr spürt er dem nach, was eigentlich die Wirkungsweise solcher Vorstellungen ausmacht.

Auf seine eigene Kindheit eingehend, bekennt er: „Was mich angeht, so beeindruckte die Göttergeburt mich tief.“ Warum? „Die Hilflosigkeit des in einer Höhle von Bethlehem geborenen Kindes fordert die ganze Ritterlichkeit meiner Knabenjahre heraus. Die Mutter Maria aus Nazareth, die so arm war, das sie in einem Stall gebären musste, verlangte meine Güte und Liebe wie meine eigene Mutter.“ Er bewertet seine damalige kindliche Anschauung als „Bild einer Idylle in einem Gewirr von Romantik und schöngefärbten Sozialwidrigkeiten: Hier Palast des Herodes, da Stall …“, und kommt zu dem Schluss: „Ich war gefesselt an einen Gott allein schon wegen der Umstände von dessen Geburt. Und wer weiß, wie viele mit mir!“ (S. 17)

Das Ausgehen vom wirklichen historischen Leben bewahrt den Autor auch davor, stereotyp sich wiederholende Antworten für die Entstehung neuer oder den Rangwechsel vorhandener Gottheiten zu suchen. Die wechselvolle Besiedelung des griechischen Festlands, die verschiedenen Völkerwanderungen, Kriege, Kolonialisierungen, Assimilationen von Völkerschaften durch andere, die Unterdrückung usw. usf. liefern im Detail ein sehr facettenreiches Bild von der Bewegung auch der Götterwelt.

Und dennoch gibt es eine Einheit in der Mannigfaltigkeit: Die Götterwelt ist die Wiederholung der Menschenwelt, ihre Projektion in ein vorgestelltes Eigenreich. Auch dieses ist ein Reich des Kampfes um Macht, in der vor Vater-, Mutter-, Bruder-, Schwester- und Völkermord nicht zurückgeschreckt wird (z.B. Geschichte des Zeus, Altes Testament). Eifer- und Rachsucht im Himmel der Götter sind Beweggründe für massenhafte Abschlachtung von Menschen. Hermes ist bezeichnenderweise in Personaleinheit Gott der Händler und der Diebe. Der „Macho“ Zeus bedient sich der Arglist und Verkleidung, um Frauen zu entführen und verheiratete irdische Frauen pseudo- bzw. anonym oder im Schlaf zu begatten. Man fragt sich: Hat der Gott der Christen es denn mit dem jungfräulichen Menschenkind Maria anders gehalten?

Und die Gottheit herrscht, indem sie den Menschen innerhalb ihrer Köpfe „über den Kopf wächst“, nicht nur, indem sie donnert und Furcht erzeugt, sondern auch flüstert, auch „verflüstert“ (Dodona). Die Götter fordern Opfer, zunächst auch Menschenblut, und sie heischen Dankbarkeit, die eigenes kritisches Denken ruhigstellen soll und auch gestellt hat – wie aktuell! Ihre Macht gründet sich nicht nur darauf, dass sie sich als Herrscher gegenüber den Menschen gebärden, sondern auch darauf, dass die Menschen „zu ihnen aufschauen“, sich untertänig ihnen gegenüber verhalten. Je weiter die Zentralisierung der Zwergstaaten fortschreitet und damit die Könige vom Volke entfernt, desto weiter entfernen sich die Götter, desto mehr bedürfen sie der „Vermittlung“, die ihre Orakel und Offenbarungen übersetzen – gegen Geschenke, die von der Macht der Vermittler künden und diese weiter stärken.

Kauter greift immer wieder auf die Verflechtung der Götter- mit den Heldenvorstellungen zurück. Da wird zuweilen einzelnen Menschen die Entscheidung über Zwistigkeiten der Göttinnen und Götter zugeschoben, woraus neues Unheil für die Menschenwelt entsteht. Da schiebt Hermes dem ahnungslosen Paris ein Richteramt zu: Er soll einen Streit zwischen drei Göttinnen um das weltbewegende Problem schlichten, welche von ihnen die Schönste sei. „Aber noch ehe er zu Worte kam, bedrängten ihn die drei nackten Damen, schmiegten sich an ihn und versuchten, ihn mit allen Künsten der Verführung zu umgarnen. Es ist eine Blamage für den ganzen Olymp, dass die Göttinnen gar und gar nicht die Wahrheit wissen wollten. Alle drei versuchten, den Schiedsrichter zu bestechen … Streitend wie Marktweiber, feilschend und einander in ihren Angeboten überbietend!“ (S. 106) Solches zu lesen, stimmt auch heute nachdenklich.

In noch einem Punkt möchte ich Kurt Kauters Erzählung dem Leser ans Herz legen: Er destruiert an vielen Stellen das überliefert und bis in die Gegenwart häufig weitergegebene negative Bild antiker Frauen. Ariadne wird von Theseus, zu dessen Rettung sie wesentlich beigetragen hat, „schlicht und einfach“ vergessen und sitzengelassen. Helena ist möglicherweise Paris freiwillig gefolgt und fühlt sich während des gesamten Trojanischen Krieges den Trojanern zugehörig. Klytaimnestra kämpft um Iphigenie, die als Blutopfer dienen soll, um günstigen Wind für den Truppentransport zum Trojanischen Krieg zu erbetteln. Und das zu einer Zeit, in der bereits entschieden war, dass es keine Menschenopfer mehr geben sollte. Penelope wartet zwanzig Jahre auf Odysseus, der zehn Jahre im Krieg zubringt und zehn Jahre durch die Welt „irrt“, wovon er sich etwa acht Jahre lang mit anderen Frauen „vergnügt“, denen er seinen Nachwuchs hinterlässt. Kassandra, die als das Muster einer „Schwarzseherin“ hingestellt wurde, weil sie Wahrheit verkündete, die andere ihr nicht geglaubt haben, wird vom  Autor, immer von den literarischen Quellen ausgehend, als begehrenswerte Frau rekonstruiert.

Es wäre sehr vieles noch zu berichten. Man sollte aus den angeführten Stellen, aus denen die sehr kritische Sicht auf die Antike, auf Götter- bzw. Gottesvorstellungen wie auf Heldensagen spricht, nicht den Schluss ziehen, dass Kauter nur Negatives zu berichten habe. Vielmehr gewinnt man aus der Lektüre seines Buches den Eindruck, dass es eben mit der Menschheit trotz aller Barbarei doch weitergegangen ist, freilich nicht dank des Glaubens an Gottheiten, sondern infolge einer dank der Tätigkeit der Menschen selbst, durch Widersprüche und Konflikte hindurch, herbeigeführten allmählichen Kultivierung ihrer Beziehungen und Eigenschaften.

Für Menschen, die sich die Eigenständigkeit ihres Denkens und Urteilens bewahren, ist das Buch eine sehr zu empfehlende Lektüre, zumal es zeigt, dass man auch ohne Fanfarenstöße, mit leisen und nachdenklich stimmenden Tönen, ein freies Verhältnis zum weltanschaulichen und religiösen Denken gewinnen und äußern kann.

Prof. Dr. Hans-Günter Eschke

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