Lisa nach PISA

20,90 

Zusätzliche Informationen

Bestellnr

20966

Autor

Cornelia Frech-Becker

Ausführung

275 S., kart.

ISBN

978-3-933037-48-0

Erschienen

2005

Verlag

Angelika Lenz Verlag

Kategorie:

Inhalt:

Wie man mit Kindern lesen und sprechen muss – Ein Beitrag zur Intelligenzförderung – Ein Lese- und Sachbuch

Lesekompetenz bedeutet Schulerfolg. Schulerfolg und Le-benserfolg stehen in einem engen Zusammenhang. Daher beginnt die Förderung in Bezug auf den Lebenserfolg bereits vom Tag der Geburt an, nämlich im Elternhaus. Immer noch sind es die Mütter, die in den ersten Jahren den entscheidenden Umgang mit dem Kind haben. Das ist eine Tatsache und hat nichts mit Rollenfestlegung zu tun. Die Mütter stellen die Weichen und beeinflussen Erfolg oder Nichterfolg in diesem wesentlichen Teilbereich. Sie sind in großem Maße verantwortlich für den Erfolg in der Schule. Die bedeutsame Rolle der Mütter wird in der Öffentlichkeit ungern diskutiert. Erfolgreiche Mütter initiieren Lernprozesse, informieren sich, lesen selbst mit Interesse und haben vor allen Dingen einen Bildungswillen und eine Bildungsvorstellung, die sie mit oder ohne Hilfe des Partners durchsetzen. Das Buch richtet sich an Mütter, aber auch an Väter, Großeltern und Verwandte, an Erzieherinnen und Pädagogen, an Politiker und an all jene Personen, die im weitesten Sinne mit Bildung zu tun haben. Das Buch beantwortet die Frage, was alle am Erziehungsprozess Beteiligten tun können, um durch den frühen Einsatz von Büchern die Sprachkompetenz des Kindes zu fördern. Die Sprachkompetenz ist es, die in hohem Maße das geistige Entwicklungspotential von Kindern fördert und diese ein Leben lang prägt.

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REZENSION:

Wenn Kinder in Büchern lesen und darüber sprechen …

„Lisa nach PISA“ – Der Titel des Buches von CORNELIA FRECH-BECKER steht für ein vehement diskutiertes Bildungs- und Erziehungsproblem. Der erste Untertitel schränkt ein: Es geht um das Lesen und Sprechen mit Kindern und der Kinder, also um eine grundlegende Kompetenz.

Ein Blick in das sehr detaillierte Inhaltsverzeichnis mit klarer übersichtlicher Gliederung erschließt eine weitere Einschränkung: Es handelt sich um das Lesen und Sprechen von und mit Vorschulkindern. Dementsprechend unterteilt FRECH-BECKER ihr Buch in drei Abschnitte: die frühen Jahre von der Geburt bis 2 ½ Jahre; das erwachende Bewusstsein: von 2 ½ bis 4 ½ Jahren; die Entwicklung schreitet voran: von 4 ½ bis 6 ½ Jahren. Dieser Buchaufbau gestattet dem Leser auch das Erschließen einzelner Teile. Außerdem ist ein Vergleich der Altersstufen gut möglich, weil bestimmte Aspekte der Sprache und des Lesens immer wieder auftauchen und sich in entsprechend wiederkehrenden Gliederungspunkten ausdrücken: Entwicklung, Sprache, Bücher, Auswirkungen.

Die Einführungen in einzelne Abschnitte beginnt CORNELIA FRECH-BECKER meist mit ganz einfachen Feststellungen. Diese sind eigentlich klar und selbstverständlich; aber es ist gut sie auszusprechen und zu lesen: „Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Kind. Sie entdecken die Welt. Eine Entdeckung sind Zeichen.“ (S. 14) „Bilder sind sprachlos … Erwachsene aber geben durch die Sprache den Bildern Sinn.“ (S. 16) „Lebenslanges Lernen ist lebenslanges Lesen“ (S. 118), „Bücher lesen ist Arbeit“ (S. 130), „Stille ist die Voraussetzung zum Hörenlernen.“ (S. 133). Auch in die Texte eingestreut finden wir derartige scheinbare Banalitäten, die den aufmerksamen Leser nachdenklich machen.

Die Autorin weist an vielen Stellen des Buches nach, dass Vorschulkinder in vielerlei Hinsicht unterschätzt werden. Dieses drückt sich zum Beispiel in der intellektuellen Unterforderung im Kindergarten aus. Insofern ist das gesamte Buch eine Streitschrift gegen das kindliche „Defizitmodell“, in dem aufgelistet wird, was Kinder alles noch nicht können; oder in freier Interpretation der Sentenz: Der Unterschied zwischen Autofelgen und Lehrern ist: Autofelgen sind von Reifen umgeben, Lehrer von Unreifen. „Es ist die große Zeit des Lernens und der Gedächtnisentwicklung. Der Wortschatz der Kinder steigt, den Wissensdurst kann kein Ozean stillen.“ (S. 102) „Die Entwicklung der Autonomie des Kindes setzt heute bereits viel früher ein und wird durch die Gesellschaft insgesamt gefördert.“ (S. 103) So schreibt FRECH-BECKER. Damit zusammenhängend beklagt sie, dass die Schule eine Nivellierung zugunsten der Schwachen und zuungunsten der Intelligenten vornimmt (S. 112).

Diese ohne Einschränkung zu unterstützenden Positionen relativiert sie allerdings wieder, indem sie die Klagen von Grundschullehrern auflistet, was knapp Siebenjährige alles (noch) nicht können, aber eigentlich können müssten (S. 106 – 107; 225 – 226). Es scheint also doch nicht so einfach zu sein, sich in der Bundesrepublik von dem noch fest etablierten Defizitmodell zu lösen.

Die Autorin bezeichnet ihr Buch als Lese- und Sachbuch. Dementsprechend gestaltet sie den Inhalt recht abwechslungsreich. Auf einfach zu lesende und zu verstehende Passagen folgen sehr anspruchsvolle Texte. In letzteren verliert sie sich manchmal in philosophischen und psychologischen Abschweifungen, findet aber immer wieder zum jeweiligen Grundthema zurück. Manchmal überrascht sie den Leser geradezu mit philosophischen Exkursen, z. B. zur „richtigen“ Pädagogik, zum Erkennen der Welt und zur Wahrheit. Die insgesamt lebendige Darstellung gewinnt durch zahlreiche eingestreute Berichte aus der Literatur, aber hauptsächlich solchen von Eltern, Lehrern und anderen Gewährspersonen, die zum Teil ihre eigenen Erlebnisse aus ihrer frühen Kindheit reflektieren. Damit werden zahlreiche Ratschläge verbunden, die über Sprache und Lesen hinausgehen, z. B. über das Gestalten von Lernspielen und zum Hören lernen.

Wenn man ein Buch über das Lesen zur Hand nimmt ist man sicher gespannt, was dort unter Lesen verstanden wird. CORNELIA FRECH-BECKER stellt auf S. 27 eine Definition vor. Abgesehen von der darin vorkommenden Tautologie enthält diese weniger Bestimmungsstücke des Lesens, sondern mehr die Voraussetzungen dafür. Lesen würde ich als eine Tätigkeit bezeichnen, bei der geschriebene in gesprochene Sprache umgesetzt wird, wobei diese Umsetzung lautiert oder „stumm“ erfolgen kann.

Es gibt zwei Möglichkeiten des Lesens, die im Buch verschiedentlich angesprochen, aber nicht immer deutlich getrennt werden:

Erstens das mechanische Lesen, ohne den Sinn zu erfassen (S. 55). Auf diese Weise werden manche Fremdsprachentexte lesbar, ohne dass der Lesende diese Sprache beherrscht. Folglich treten – auch bei Erwachsenen – massive Aussprachefehler auf. Das veranlasste Karl Schrader schon in den 1960-er Jahren eine Karikatur zu zeichnen, die zwei Kinder mit umgehängter „Kofferheule“ zeigte, welche lauthals „Ei wont tu hool jur hemd“ sangen – siehe auch das Beispiel S. 56.

Zweitens kennen wir das verstehende Lesen, welches den Sinn bzw. Inhalt des Textes erfasst. Nur dieses Lesen führt zur Lesekompetenz, ganz im Sinne der Autorin, wenn sie feststellt: „Lesen ist Sprachverstehen“ (S. 36).

Wenn man ein Buch dieser Thematik zur Hand nimmt ist zu erwarten, dass es sich überwiegend mit Lesen und Sprechen beschäftigt. In dieser Hinsicht wird der interessierte Leser nicht enttäuscht. CORNELIA FRECH-BECKER betont immer wieder die Bedeutung der Sprache für die kindliche Entwicklung. Sie handelt wesentliche Inhalte der Sprach- und Denkpsychologie des Säuglings, Klein- und Vorschulkindes ab und bezieht dabei deren körperliche und geistig-materielle Grundlagen in umfangreicher Weise ein. Das Ganze lässt sie aber nicht isoliert als Theoretisches stehen, sondern verbindet es in reichem Maße mit Erfahrungen und Ratschlägen, bezogen auf den Umgang mit Sprache und Kind.

Die Autorin nennt und kommentiert in ausgezeichneter Weise ganz einfache Grundsätze und Regeln, die mit dem Lesen und Lesenlernen im Zusammenhang stehen. Sie sind im gesamten Buch zu finden; hier eine kleine Auswahl: „Man gewöhne das Kind früh an den Umgang mit Büchern“ (S. 27), „Dort wo Bildung Vorrang hat herrscht immer das Buch“ (S. 29), „Kinder frühzeitig in Büchereien und Buchhandlungen mitnehmen“ (S. 66), das Kind ermutigen, Geschriebenes in der Umgebung wahrzunehmen (S. 145), „Kinder müssen Formen und Laute der Buchstaben unterscheiden können“ (S. 165).

In diesem und im weiteren Sinne enthält der Band viele genau treffende Feststellungen zum Lesen, zum Buch und zur Sprache. Er weist aber auch Formulierungen auf, deren Einseitigkeit und Absolutheit die Autorin vielleicht gar nicht beabsichtigte. Der Leser sollte sich aber über Ergänzungen und Fragwürdigkeiten seine Gedanken machen. Hier ebenfalls eine kleine Auswahl: Die Sprache ist an Denken gebunden. (S. 17) „Wie jemand spricht so denkt er.“ (S. 18) „Zur Bildung gelangt man über Erziehung.“ (S. 30)

„Bücher veralten nicht.“ (S. 27) „Sprache denkt, sie fühlt nicht.“ (S. 71) „Lesen hat immer eine existenzielle Bedeutung.“ (S. 123)

CORNELIA FRECH-BECKER misst der Lesemotivation eine große Bedeutung zu und beschreibt zahlreiche Möglichkeiten, sie herauszubilden und zu erhalten. Sie geht auch auf die Funktionen von Literatur für die Lebensbildung und -erziehung ein und charakterisiert die Funktionen des Lesens für die Persönlichkeitsentwicklung. Die Autorin erläutert detailliert Möglichkeiten, wie Eltern mit ihren Kindern überwiegend spielend Lesen lernen und üben können und sollten. Sie macht damit zusammenhängend auf ein Dilemma der deutschen Sprache – und nicht nur dieser! – aufmerksam: die zunehmende Diskrepanz zwischen der geschriebenen und gesprochenen Sprache, die dazu führt, dass immer umfangreichere Ausspracheregelungen zusätzlicher Gegenstand des Lesenlernens sind. Ich vermag allerdings ihre Antifibelhaltung nicht nachzuvollziehen und mir bleibt auch die Platzierung dieser Positionen im Abschnitt für die 2½- bis 4½-Jährigen unverständlich.

Aus dem gesamten Buch geht hervor, dass CORNELIA FRECH-BECKER es in hohem Maße den Eltern überlassen möchte, wann und wie sich ihre Kinder mit Büchern beschäftigen und wann sie lesen lernen sollten. Das Problem der „Frühleser“ und seine Bewältigung in der Schule wird dabei nicht ausgespart. Hierbei verdient ein Standpunkt der Autorin besondere Anerkennung: Sie spricht sich klar für eine Kindergartenerziehung als Vorschulerziehung aus und sieht den Kindergarten nicht ausschließlich als Bewahr-, Spiel- und Spaßanstalt. Hier liegt nach ihrer Meinung in der Praxis ein immenses Förderungspotenzial hinsichtlich des Sprechens und Lesens brach. Darin stimmt sie voll überein mit KRISTIN GISBERT (Lernen lernen – lernmethodische Kompetenzen von Kindern in Tageeinrichtungen fördern. – Weinheim : Beltz Verlag, 2004), die annimmt, dass die Lernkonzepte der Erwachsenen derzeit nicht mit den tatsächlichen Fähigkeiten und intuitiven Vorstellungen von Kindern übereinstimmen und dass die Metakognition – das Nachdenken über das eigene Denken – bei Kindern eine größere Rolle spielen muss.

Es sind die Wertschätzungen gegenüber dem Kind, den Eltern, der Sprache und dem Buch, die den Band so nützlich machen und zum Lesen auffordern: „Sprache zu verstehen, ist ein unendlich komplizierter Vorgang.“ (S. 231) „Lesen heißt Verstehen, und Verstehen geht über die Entwicklung der Sprache.“ (S. 179) „Lesen ist ein Akt des Erschaffens. Das Erschaffen setzt Imagination voraus. Lesen ist Übersetzungsarbeit.“ (S. 163)

Es ist ein Buch voller Lebensweisheiten und -ratschläge, was CORNELIA FRECH-BECKER der Leserschaft übergibt. Und es ist eine Illustration der Lebensweisheit, die HEINZ KREIBICH, Geschäftsführer der Stiftung Lesen, anlässlich des Welttages des Buches am 23. April 2005, so formulierte: „Die Liebe zum Buch entsteht auf dem Schoß des Vaters oder der Mutter.“

Dr. Dr. JAN BRETSCHNEIDER

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